Bauch über Herz: Kolumne über Familie und andere Abenteuer

Like a normal child

Wie fühlt man sich, wenn einem gesagt wird, ihr Kind ist ein medizinisch extrem ungewöhnlicher Fall? Weder wir noch die Kollegen aus anderen Kliniken haben das jemals zuvor gesehen. Ich sag es Euch: Ein bisschen, als würde Dr. House plötzlich bei Grey’s Anatomy anklopfen und nach einer Diagnose fragen. Nicht ganz echt und irgendwie weit weg. Vermutlich hat man mir angemerkt, dass es mir schwerfällt, alles zu realisieren, denn die Seelsorge klopfte nun öfter an – zumindest öfter als bei anderen Patienten hab ich gehört.

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Bild: Dora
Und so wurden wir weiter geschickt, in eine größere Klinik Abteilung „Neugeborene mit ungewöhnlichen Krankheiten“ – ja sowas gibt es wirklich.

Bettchen an Bettchen Schicksale und Geschichten. Ich lernte so viele tolle Mamas mit ihren starken Babys kennen. So viel Hoffnung, so viel Zuversicht an dem dafür denkbar ungewöhnlichsten Ort. Einen Glauben, der keinen Platz für Verzweiflung lässt, auch wenn die Prognose düster ist. Nicht nur einmal kam mir der Gedanke, mein Kind ist doch viel zu gesund, wir sind falsch hier.

Und dann, nach knapp einem Monat, gab es nun endlich auch eine Diagnose, „Blutschwämmchen an der denkbar blödesten Stelle“ – ungefähr so aus dem lateinischen übersetzt versteht sich. Und doch eben nur ein Hämangiom mit einem Riesen H sowie harmlos. Gut behandelbar und einer Prognose von circa 24 Monaten bis alles überstanden ist.

Einen Tag vor der Entlassung schaute dann auch die Oberärztin noch einmal vorbei, mit zwei Kolleginnen aus Fernost und auch wenn ich dem Gespräch nicht ganz folgen konnte, werde ich einen Satz nie vergessen „Like a normal child.“

Und genau so ist es auch. Ja klar, man macht sich sicher mehr Sorgen als bei einem gesunden Kind. Aber der Kleine hat keine Ahnung, dass andere Kinder Dinge können und dürfen, die er nicht kann – zum Beispiel im Wasser planschen oder schreien oder laut lachen. 

Es gibt sogar so ein paar Dinge, da wären andere Babys froh drum, ein exklusiv 23 Stunden am Tag Mama-Service zum Beispiel. Es könnte bei ihm jeder Zeit zu einem lebensbedrohlichen Notfall kommen und im Umgang damit geschult sind nur wir Eltern. Und die Nerven in jeder Situation behält nur die Mama, also naja was soll ich sagen…

Und will mich auch gar nicht beklagen – tragen nicht auch Schimpansen Mamas ewig ihre Babys permanent mit sich rum? Wobei die glaube ich, auch selten Wäsche waschen und die Spülmaschine ausräumen müssen – trotzdem sein sie vorbildliche Mütter, wie man so hört. 

Und so kommt auch bei uns der Kleine ziemlich rum und das klappt ziemlich gut, muss ich sagen. Es haben nicht alle Mamas ein Notfallset mit Tubus und Beatmungsbeutel in der Handtasche? Wie auch keine mobile Absaugung im Kinderwagen? Verrückt, was machen die nur mit dem ganzen Platz? Man gewöhnt sich ja bekanntlich an alles und vor allem an den Gedanken, dass es ja nicht für immer ist. 

Es fühlt sich schon alles wirklich total normal an – mit den normalen Augenringen von dem normalen Schlafmangel, wie das mit einem Baby halt so ist…

Jetzt wollt Ihr sicher noch wissen, wie es mit dem Frühchen meiner Freundin weiterging: In einer Phase der Schwangerschaft, in welcher einige Babys für nicht lebensfähig halten und oft als hoffnungsloser Fall gelten. Hat er seinem Namen alle Ehre gemacht, die Krallen ausgefahren und löwenstark bewiesen, dass auch ein Ungeborenes in der 23 Woche mit einem Gewicht von zwei Päckchen Butter, aber einem Lebenswillen wie ein Riese Dinge vollbringt, die keiner für möglich hält. 

An seinem eigentlichen Geburtstermin hatte er mehr auf der Waage als so manch anderes „reifgeborene“ Baby –
 und durfte natürlich mit seinen stolzen Eltern nach Hause. 

Er wurde auch schon zu Vorträgen eingeladen – für zukünftige Pflegekräfte als „Vorzeige-Frühchen“, hab ich zumindest gehört.

Und da sind sie nun, die zwei und lachen und weinen und spielen und leben „Like a normal child“