Insekten in Nahrungsmitteln: Was muss beachtet werden?
Das große Krabbeln
Wir haben heute eine ganz außergewöhnliche Rezeptidee für Sie vorbereitet. Man nehme eine hygienisch einwandfreie Fliegenklatsche und gehe auf Krabbeltiersuche. Der Fantasie beim Fang sind hier keine Grenzen gesetzt. Vom akrobatischen ‚aus der Luft fangen‘ oder dem Lauern an der Wohnzimmerwand - allein das persönliche Geschick kann hier ausschlaggebend für Erflog oder Misserfolg sein. Haben Sie sich eine große Schale verschiedenster Insekten ergattert, dann bedanken Sie sich beim Universum und gehen damit in Ihre Küche. Und hier kommt Magie ins Spiel: Mit ein paar schlichten Gewürzen wie Knoblauch und Pfeffer angebrachten, erfüllen knusprig würzige Düfte die heimischen Räumlichkeiten. Nun dürfen Sie Ihr persönliches Insekten-Potpourri genießen, ob allein oder in geselliger Runde. Eine passende Weinbegleitung zu Stubenfliege und Co. wird noch herausgearbeitet. Schließlich steckt dieses „Novel-Food“ noch in den Kinderschuhen. Sie glauben uns nicht? Zurecht.
Seit wann gibt es diese Verordnung?
Die EU-Durchführungsverordnung 2023/5 sieht vor, dass vom 24. Januar 2023 das Beimischen von Grillenpulver in Lebensmitteln in sämtlichen Mitgliedstaaten der EU erlaubt ist. Diese Entscheidung sorgte bereits im Voraus in klassischen und sozialen Medien für Unmut und Kritik. Doch die Grille namens Acheta Domesticus oder auch liebevoll „Heimchen“ genannt, ist nicht der einzige Zuwachs auf künftigen Zutatenlisten. Auch die Larven des Getreideschimmelkäfers (oder auch Buffalowurm genannt) dürfen künftig als neue Zutat in Lebensmitteln verarbeitet werden.
Was genehmigt die neue EU-Verordnung 2023/5 genau?
Wir wenden uns zunächst der Hausgrille zu. Die neue EU-Verordnung 2023/5 genehmigt teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille) als neuartiges Lebensmittel für fünf Jahre exklusiv für das Unternehmen Cricket One Co. Ltd (Sitz in Vietnam), welches 2019 den Antrag hierzu gestellt hat. Aha: Die Hausgrille selbst – gefroren, getrocknet oder pulverförmig – ist bereits seit März 2022 zugelassen.
Die Larven des Getreideschimmelkäfers (Alphitobius diaperinus) in gefrorener, pastenartiger, getrockneter und pulverisierter Form dürfen zunächst exklusiv für fünf Jahre von der Firma Ynsect NL B. V. (mit Sitz in den Niederlanden) Einzug in die Lebensmittelbranche erhalten.
Warum wurde diese Verordnung eingeführt?
Der O-Ton bei diesem Thema ist, dass die Insekten nichts aus unserem Speiseplan ersetzen, sondern ihn bereichern sollen. Die kleinen Flugtiere zählen zu den neuartigen Lebensmitteln - ähnlich wie zum Beispiel Chiasamen oder Stevia - und werden global gesehen schon längst verzehrt – außer in der EU. Dafür brauchen die Krabbeltiere eine Zulassung. Ihr Einsatz in der Küche ist vielfältig: Als Pulver können Sie als Mehl dienen oder im ganzen frittiert werden. Nice to know: Als Chips verarbeitet seien sie deutlich nährstoffreicher für den Körper als Kartoffelchips, die meist zu fettig hergestellt werden.
Welche Insekten sind schon länger in unserem Essen zu finden?
Brandneu sind Insektenanteile in Nahrungsmitteln nicht. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gelten mehr als 2000 Insektenarten als essbar für uns Menschen. Zwei von ihnen sind seit 2021 in der Europäischen Union als Nahrungsmittel zugelassen: die Larven des Mehlwurms und die Europäische Wanderheuschrecke. Auch unser Heimchen, die Hausgrille (gefroren, getrocknet oder pulverförmig) ist seit März 2022 bei uns auf dem Markt. Nun kommen mit den neuen EU-Verordnungen das teilweise entfettetes Pulver der Hausgrille und der Getreideschimmelkäfer dazu.
In welchen Produkten können die Tiere stecken?
Die Liste an genehmigten Verwendungen für das Pulver der Hausgrille ist lang. Sie ist zugelassen in:
- Mehrkornbrot und -brötchen
- Crackern und Brotstangen
- Getreideriegeln
- trockenen Vormischungen für Backwaren
- Keksen
- trockenen gefüllten und ungefüllten Erzeugnissen aus Teigwaren
- Soßen
- verarbeiteten Kartoffelerzeugnissen
- Gerichten auf Basis von Leguminosen und Gemüse
- Pizza
- Molkepulver
- Fleischanalogen Suppen und Suppenkonzentraten oder -pulver
- Snacks auf Maismehlbasis
- bierähnlichen Getränken
- Schokoladenerzeugnissen
- Nüssen und Ölsaaten
- Snacks außer Chips
- Fleischzubereitungen
- Getreideriegel
- Brot und Brötchen
- verarbeitetem Getreide
- Frühstückscerealien
- Porridge
- Vormischungen (trocken) für Backwaren
- getrockneten Erzeugnisse aus Teigwaren
- gefüllten Erzeugnisse aus Teigwaren
- Molkepulver
- Suppen
- Gerichten auf Getreide-, Teigwarenbasis
- Gerichten auf Pizzabasis
- Nudeln
- Snacks außer Chips
Wie erkennen Sie die neuen Insekten in Produkten im Supermarkt?
Die Bezeichnung im Zutatenverzeichnis für die Grille lautet „teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille)“. Für den Getreideschimmelkäfer gibt es folgende Kennzeichnung: „gefrorene Larven/Paste aus Larven von Alphitobius diaperinus (Getreideschimmelkäfer)“ oder „getrocknete Larven/Pulver aus Larven von Alphitobius diaperinus (Getreideschimmelkäfer)“.
Welche Insekten sind grundsätzlich im Essen erlaubt?
Insekten werden in der Europäischen Union als neuartige Lebensmittel gesehen. Unternehmen müssen für den Vertrieb der Krabbeltiere einen Novel-Food-Antrag stellen und wissenschaftliche Daten liefern, die eine umfassende Risikobewertung ermöglichen.
Der Antrag muss zudem Informationen zu Produkteigenschaften und Verwendungszweck enthalten. Die Europäische Kommission unterzieht diesen Antrag durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) einer intensiven Sicherheitsprüfung.
Sind die Insekten gesund oder gefährlich?
Haben Sie keine Allergien, können Sie die Insekten laut Verbraucherexperten ohne Probleme ausprobieren. Es sind sogar wahrliche kleine Kraftpakete, die wertvolle Nährstoffe und Eiweiße liefern. Allergiker dagegen sollten aufmerksam die Zutatenliste studieren. Der Lebensmittelverband weist darauf hin, dass für die Grille und den Getreideschimmelkäfer der Hinweis erfolgen müsse, dass „diese Zutat bei Verbraucher*innen, die bekanntermaßen gegen Krebstiere und deren Erzeugnisse, sowie gegen Hausstaubmilben allergisch sind, allergische Reaktionen auslösen kann“. Dieser Hinweis müsse – wenn auch nicht speziell hervorgehoben – in unmittelbarer Nähe der Zutatenliste angebracht werden.
Vor- und Nachteile
Essbare Insekten sind eine exzellente Quelle von Omega-3-Fettsäuren, B-Vitaminen und wichtigen Mineralstoffen. In allen Insekten kommen einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren vor. Zudem haben die Krabbler ähnlich viel Protein wie das Fleisch von Rind, Schwein oder Pute. In der gefriergetrockneten Version sogar einen deutlich höheren Gehalt. Denn: Werden Insekten gefriergetrocknet, erhöht sich deren Proteinanteil. So haben Mehlwürmer gefriergetrocknet zum Beispiel einen Proteinanteil von 50,9 Prozent statt 18,7 Prozent (frisch). Zum Vergleich: Frisches Rindfleisch hat 22,3 Prozent, Schweine- und Hühnerfleisch 22,8 Prozent Eiweiß. Die gute Laune geht noch weiter: Studien zeigen, dass Insekten im Vergleich zu Fleisch klimafreundlicher sind. Die kleinen Tierchen brauchen weniger Platz und Wasser als Rinder, Schweine oder Hühner und verursachen weniger Treibhausgas-Emissionen. Insekten glänzen ebenso beim Thema Nachhaltigkeit: Ihr essbarer Anteil ist mit 80 Prozent deutlich höher als zum Beispiel beim Rind (40 Prozent).
Legen wir die rosarote Brille einmal beiseite, dann zeigt sich, dass Allergikerinnen und Allergiker, die auf Schalen- und Krustentiere, Weichtiere oder Haustaubmilben allergisch reagieren, unter Umständen auf Insektenpulver mit einer Kreuzallergie reagieren können. Das Chitin im Außenskelett von Insekten kann allergische Reaktionen auslösen. Deswegen muss ein Warnhinweis für Allergiker*innen auf der Packung stehen, wenn Insekten im betreffenden Produkt enthalten sind. Gut zu wissen: Verbraucherzentralen haben bei einem Marktcheck im Oktober 2022 einige Kennzeichnungslücken bei bisher zugelassenen, insektenhaltigen Produkten entdeckt - dort fehlten zum Teil die Warnhinweise. Des Weiteren sehen Kritiker der Speiseinsekten die benötigte Betriebstemperatur für die Zucht von Insekten problematisch. In den Betriebsstätten sind etwa 25 bis 30 Grad Celsius notwendig. Auch ist der sichere Verzehr von Krabbeltieren noch keine Garantie. Es fehlt hierzu noch an konkreten Regelungen in der verantwortlichen Lebensmittel-Hygiene-Verordnung. Es gibt für insektenproduzierende und -verarbeitende Betriebe zum Beispiel keine spezifischen Vorgaben zur Haltung und nur wenige zur Tötung. Zudem wissen wir noch wenig über die Krankheiten, die Insekten befallen und auf den Menschen übertragen werden können. Auch für den Einsatz von Arzneimitteln wie Antibiotika, Hormone oder andere Chemikalien gibt es noch keine neutralen Kontrollergebnisse. Es fehlen außerdem spezielle Hygienevorgaben und klare Vorgaben zur Zulassung und Identitätskennzeichnung für insektenproduzierende und -verarbeitende Betriebe.
Wie sieht die Zucht der Insekten aus?
Speiseinsekten, die im deutschen Lebensmittelhandel angeboten werden, stammen aus kontrollierter Aufzucht. Wild gefangene Heuschrecken aus Afrika, die dort zum Teil als Plage gelten, würden die hier geltenden Hygienevorschriften und rechtlichen Anforderungen nicht erfüllen. Für die Einhaltung der geltenden Grundsätze sind die Produzenten verantwortlich. Insektenfarmen gibt es mittlerweile zum Beispiel in den Niederlanden, Spanien und auch in Deutschland. Aber: Die Herkunft der Insekten muss bisher nicht auf dem Produkt gekennzeichnet sein. Wer in der EU Insekten in Pulverform für Lebensmittel vertreiben will, braucht eine Zulassung. Dafür sind auch genaue Bedingungen für die Zucht der Insekten und deren Verarbeitung festgelegt. Ein kleiner Auszug aus der EU-Verordnung zur Hausgrille verdeutlicht: „Bei dem neuartigen Lebensmittel handelt es sich um teilweise entfettetes Pulver aus ganzem Acheta domesticus (Hausgrille), gewonnen nach einer Abfolge von Schritten, darunter eine 24-stündige Futterkarenz, damit die Insekten ihren Darminhalt abgeben können, das Abtöten der Insekten durch Gefrieren, Waschen, Hitzebehandlung, Trocknung, Ölextraktion (mechanische Extrusion) und Mahlen.
FAZIT: In verschiedenen Studien hat die Welternährungsorganisation festgestellt, dass Insekten eine sehr nahrhafte und gesunde Nahrungsquelle mit einem hohen Gehalt an Fett, Eiweiß, Vitaminen, Ballaststoffen und Mineralien sind. Das krabbelige Novel-Food gilt als nachhaltiges Lebensmittel, welches weniger CO2-Ausstoß und weniger Ausscheidungen produziert. Allerdings sind noch viele Fragen ungeklärt. Dazu zählen beispielsweise die Regulation der Insektenfarmen, sprich: zum Bespiel Verordnungen zur Fütterung, Hygiene und den Einsatz von Arzneimitteln. Auch der Tierschutz ist bei Speiseinsekten noch am Anfang seiner Arbeit. Zudem sind Allergiker aufgrund fehlender Hinweise auf den betroffenen Produkten zur Vorsicht aufgerufen. Summa summarum: Eine gesunde Nahrungsquelle der Zukunft, deren Weg noch geebnet und kontrolliert werden muss. |Text: Stefanie Steinbach