Local Hero Interview mit dem Allgäuer Schanzenbauer Hans-Martin Renn
Geballtes Architektenwissen aus dem Allgäu
Visionen in greifbare Realität verwandeln – das ist die Motivation von Hans-Martin Renn, dem weltweit bekanntesten Planer von Skisprungschanzen. Mit dem Team seines Allgäuer Architektenbüros hat sich der 54-Jährige seit 2003 immer mehr mit Projekten an vielen internationalen Schauplätzen des Wintersportes beschäftigt. Im Interview sprach unser Local Hero über seine Verbindung zum Wintersport und die Sprungschanzen der Zukunft.
Hans-Martin Renn: Meinen Job habe ich von der Pike auf gelernt. Angefangen hat alles mit einer Ausbildung zum Bauzeichner. Direkt im Anschluss erlangte ich über den zweiten Bildungsweg mein Abitur, das mir den Weg für ein Architektur Studium in Würzburg freimachte. Von 2001 bis 2011 habe ich mich dann im Zuge einer Sozietät in die Selbstständigkeit gestürzt und leite seit deren Ende das Büro alleine.
Wann eröffnete sich für Sie die Möglichkeit, einen Architektenauftrag im Bereich der Skisprungschanzen zu verwirklichen?
Das war im Jahr 2003 als die Maßnahmen für die Wintersport WM 2005 in Planung waren. Wir hatten das Glück in das Planungsteam quer einzusteigen und durften von Anfang an Vollgas geben. Natürlich war das unsererseits ein mutiger Schritt, sich dieser Aufgabe zu stellen, da wir im Vorfeld niemals mit solchen Aufträgen zu tun hatten. Zu Beginn waren wir vor der Verantwortung und der Größe des Projekts mächtig nervös. Sich diesem enormen Termindruck auszusetzen war für unser damals noch vierköpfiges Büroteam eine echte Mutprobe.
Wie aufwendig war es für Sie, die Bedürfnisse der Sportler am Bau der Sprungschanzen zu erfüllen?
Wie auch in vielen anderen Bereichen mussten wir hier mit unserer Aufgabe wachsen. Das Interesse am Skisprungsport war bis zu diesem Zeitpunkt natürlich nur vor dem heimischen Fernseher gegeben. Das tiefe Eintauchen in die Materie war für uns natürlich umso spannender. In Gesprächen mit Trainern und Athleten vor Ort wuchs mit den Jahren auch das Wissen, was eine Schanze heutzutage in ihrer Beschaffenheit mitbringen muss. Das war nicht immer so. Das Vertrauen bzw. die heutige Selbstverständlichkeit der Konversationen mussten sich beide Seiten – also wir als Architekten und die Sportler als Ausübende – erst erarbeiten.
Sie planen aktuell an den Sprunganlagen in Trondheim (WM 2025) und Peking (Olympia 2022). Wie muss sich ein Laie den Weg von der Planung bis zur Realisierung solcher Projekte vorstellen?
Betrachtet man das Projekt in Peking, blickt man zunächst nur auf eine grüne Wiese. Auf bestimmten Revieren waren bestimmte Sportarten vorgesehen. Erst nachdem dies festgesetzt wurde, fanden die ersten Gespräche statt, die sich um die genaue Positionierung von Schanze & Co. drehen. Im nächsten Schritt finden die Profilplanungen für die Normal- sowie die Großchance statt, das heißt, man versucht, eine möglichst optimale Position für die Schanzen zu finden. Optimal heißt möglichst Windgeschützt und mit möglichst geringem Eingriff in die Topographie. Vom großen Profil geht die Entwicklung dann weiter in die Detailzeichnungen. Das Projekt in Trondheim hingegen begrenzt sich auf Neubau und Modernisierung am Ort der bereits vorhandenen Anlagen. Beide genannten Projekte sind völlig verschieden, allein schon wegen der Mentalität, der Sprache und der Kultur. Wir beschränken uns dabei auf den Support unserer langjährigen Erfahrung und die Planung aller skisprungrelevanten Elemente. Das ist nicht wenig und beeinflusst die Planung bereits im Entwurf. Die extreme Zunahme von video-meetings vereinfacht die Arbeit erheblich. Faszinierend im Projekt Trondheim ist die Anwendung der gleichen Zeichenprogramme zwischen uns und dem Team in Norwegen. Dies ermöglicht Teamarbeit in Echtzeit – völlig verrückt. Es sind zahlreiche weitere Ingenieurbüros tätig und viele Planer bringen ein großes Projekt voran. Auch Geologen, Brandschützer & Co. arbeiten vor Ort mit. Das ist ein riesiger Komplex.
Wie sehen die Schanzen der Zukunft im Vergleich zu früheren Bauten aus?
Die Anlaufspur ist eine Sache, die sich grundlegend verändert hat. Während heute bei Großveranstaltungen im Winter fast ausschließlich auf einer dünnen Eisschicht gesprungen wird, wurden früher Spuren in verdichteten Schnee gefräst. Allein die genannte Eisspur trug die letzten Jahre erheblich zur Sicherung von TV-Übertragungszeiten bei. Auch die Beleuchtung spielt eine viel größere Rolle, da viele Skiveranstaltungen heute abends stattfinden, um die quotenträchtigen Zeiten der Fernsehsender zu unterstützen. Da ist eine geeignete Flutlichtanlage essenziell. Die Schanze der Zukunft wird auf jeden Fall der weiteren Entwicklung des Skispringens Rechnung tragen. Alle Bemühungen werden weiterhin daran gesetzt sein, die Sicherheit für die Athleten hoch zu halten. Der Transport der Attraktivität und der Faszination des Skispringens mündet zusehends auch in ganzjährige touristische und Eventnutzungen. Das alles nimmt Einfluss auf die Gestalt einer Schanze der Zukunft.
Wie stolz waren Sie, die Sportler auf der von Ihnen entworfenen Schanze in Oberstdorf springen zu sehen?
Das berührt einen natürlich sehr zu sehen, dass man mit dem Bau eines „Sportgerätes“ zum wesentlichen Erfolg eines solchen Großevents beigetragen hat, das im Nachgang keinerlei Kritiken einstecken musste und bei dem sich keiner der Sportler ernsthaft verletzt hat. Speziell in Oberstdorf ist das für uns eine riesige Geschichte, da wir den Veranstaltungsort seit 15 Jahren mitentwickeln dürfen. Wie sich der Stützpunkt heute präsentiert macht mich offen gesagt sehr stolz.
Wie verbringen Sie Ihre ganz private Freizeit?
Meine wenige Freizeit, die mir noch übrigbleibt, gehört meiner Familie. Ich lege als Ausgleich zu einem knochenharten Bürojob auch viel Wert auf Bewegung in der Freizeit. Ich bin leidenschaftlicher Rennradfahrer und Mountainbiker und kann mir der Natur meine Kraft für den Alltag zurückholen. Im Winter bin ich gerne auch beim Langlaufen aber nicht beim Skispringen (lacht). Eine ausgiebige Freizeitgestaltung ist mir übrigens auch für meine Mitarbeiter besonders wichtig. Deswegen machen wir wenig Überstunden und gehen am Freitagmittag ins wohlverdiente Wochenende.
Inwiefern hat sich die Corona Pandemie auf Ihr Daily Business ausgewirkt?
Ich persönlich war von der Entstehung des Virus sehr geprägt. Während meines Einsatzes im Subkomitee für Skisprungschanzen in Trondheim wurde schlagartig die gesamte Veranstaltung abgeblasen und es entstand eine riesige Hektik. Alle haben probiert, schnellstmöglich nach Hause zu kommen. Mit einem der letzten Flieger konnte ich von Kopenhagen nach Deutschland fliegen und war dementsprechend erleichtert. So habe ich das Virus nie auf die leichte Schulter genommen und mein Personal hat eigeninitiativ das Home Office getestet, um im Notfall den komplexen Planungsbetrieb aufrecht erhalten zu können. Die Sorge, dass wir dicht machen müssen, war unsererseits aufgrund unserer vielen verantwortungsvollen Projekte besonders groß. Durch die konsequente Einhaltung der Hygienestandarts in unseren Büroräumen und der großen Disziplin meiner Mitarbeiter konnten wir dem Virus bisher gut entweichen.
Wieso ist der Architektenjob Ihr Traumjob?
Es ist ein harter und vor allem technischer Beruf, der geprägt ist von unzähligen Vorschriften und Gesetzeslagen. Man muss sich im Vorfeld klar sein, dass der kreative Part in diesem Job oft kürzer kommt, als man sich das vorgestellt hat. Für mich ist das tolle an diesem Beruf aber: wir ziehen nicht immer den gleichen Leitfaden aus der Schublade. Jedes Projekt hat seinen eigenen Neuanfang. Aus Anforderungen und Gesprächen am Ende etwas zu erschaffen, was sich der Bauherr vorgestellt hat, ist einfach ein tolles Gefühl.