Uni Ulm: Paarungsverhalten seltener, singender Fledermausart beobachtet
Maskierte Verführer in der Balzarena
Mit der „Maske“, die einen Teil ihres Gesichts bedeckt, schützen sich die Männchen der Fledermausart Centurio senex wohl weder vor Viren, noch feiern sie Karneval. Über die ungewöhnliche Gesichtsbedeckung der Tiere war bisher ebenso wenig bekannt wie über das Sozialverhalten der extrem seltenen Säuger. Ausgerechnet in einer Hotelanlage machten Forschende der Universidad de Costa Rica (UCR) und der Universität Ulm sensationelle Beobachtungen: Über mehrere Wochen konnten sie das nächtliche Balzverhalten sowie die Gesänge der Greisengesichter, so der deutsche Name der Tiere, aufzeichnen und analysieren. Unter dem Titel „the masked seducers“ (die maskierten Verführer) haben sie ihre Beobachtungen jetzt im Fachjournal PLOS ONE veröffentlicht.
Um die seltenen Fledermäuse so wenig wie möglich zu stören, wurden die Tiere nicht gefangen und ihr Balzverhalten ausschließlich mit Lautaufnahmegeräten und Infrarotvideokameras dokumentiert. Die Aufnahmen zeigen, dass Männchen an ihrem Hangplatz immer wieder von anderen Fledermäusen angeflogen werden und darauf mit heftigem Flügelschlagen sowie mit lauten Rufen reagieren. Darüber hinaus zeichneten die Forschenden für das menschliche Gehör nicht wahrnehmbare Ultraschallgesänge auf. „Dieses Material lässt vermuten, dass die maskierten Sänger vor allem mit musikalischen Einlagen um die Gunst der Weibchen wetteifern“, erklärt der Biologie-Professor Marco Tschapka.
Balzarenen, zu denen sich mehrere singende Männchen zusammenfinden, um sich gemeinsam den Weibchen zu präsentieren, seien bei Fledermäusen äußerst selten und aus der Familie der Neuwelt-Blattnasen, zu der Centurio senex zählt, bisher gar nicht bekannt. Im Bioakustik-Labor der Universität Ulm hat die Doktorandin Gloria Gessinger die Gesänge analysiert. Werden die mit bloßem Ohr nicht wahrnehmbaren Laute elektronisch in den hörbaren Bereich übertragen, vernimmt man leises Getriller, das bei Damenbesuch von Flügelschlagen begleitet wird und schließlich mit einem sehr lauten, schrillen Schrei endet. „Insbesondere der Einsatz von hörbarem Flügelschlägen in der sozialen Kommunikation ist bei Fledermäusen ungewöhnlich“, betont Gessinger.
Zumindest einer der Meistersänger war mit dieser Taktik in der Balzarena erfolgreich: Videoaufnahmen zeigen, wie er von einem Weibchen auserwählt wird. Die Besucherin schwirrt noch kurz vor dem singenden Männchen, bevor sie sich zu ihm gesellt und es ohne weitere Umschweife zur Paarung kommt. „Die Weibchen von Centurio senex haben ebenfalls ein runzeliges Gesicht, nicht aber die charakteristische Hautfaltenmaske unter dem Kinn. Daher muss diese mit den Geschlechterrollen während der Fortpflanzung zusammenhängen – zumal die Männchen während des Balzgesangs ,maskiert‘ sind“, erläutert Tschapka. Um diese Wissenslücke um die Bedeutung der „Maske“ zu schließen und um beispielsweise nach Duftstoffen in dieser Hautfalte zu suchen, sind weitere Untersuchungen nötig – was sich aufgrund der Seltenheit von Centurio senex schwierig gestaltet. Im Herbst 2019 hofften die Forschenden auf ein Wiedersehen mit den Tieren am gleichen Ort in Costa Rica, wurden jedoch enttäuscht. „Immerhin kennen wir nun die Gesänge von Centurio senex und könnten diese Laute mit unserem Bat Detector im Wald aufspüren“, so Bernal Rodríguez-Herrera.
Die jetzt veröffentlichten Felddaten sind größtenteils durch Professor Bernal Rodríguez-Herrera und seine Studierenden von der Universidad de Costa Rica erhoben worden. Die Analyse erfolgte in enger Kooperation mit der Universität Ulm. Bereits seit 1987 besteht in der Biologie eine enge Kooperation und ein Studierendenaustausch zwischen der Universität Ulm und der UCR, der vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert wird.