ratiopharm ulm: Andreas Oettel nach dem Saisonstart im exklusiven Interview

So ist die aktuelle Lage

Neben der derzeitigen Energiekrise hat Andreas Oettel noch mit anderen Hindernissen zu kämpfen. So sind noch deutliche Nachwirkungen der Pandemie spürbar und auch das Besucherverhalten hat sich verändert. Wir trafen den sympathischen Geschäftsführer im exklusiven Interview.

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Bild: Ulli Schlieper
TRENDYone: Herr Oettel, die neue Saison hat begonnen – was hat sich bedingt durch die Corona-Pandemie für ratiopharm ulm geändert?

Andreas Oettel: Die grundlegenden Rahmenbedingungen wirken, auf den ersten Blick, sehr ähnlich wie in der Zeit vor Corona. Ganz praktisch hat die Pandemie aber über die letzten gut zweieinhalb Jahre signifikante Spuren hinterlassen. Wir alle kommen ja aus einem geschichtlichen Abschnitt, innerhalb dessen wir als Gesellschaft keine echten Krisen zu bewältigen hatten. Die echten Krisen waren immer woanders, irgendwie ganz weit weg. Nun aber war diese echte Krise so unfassbar nah und allein dadurch hat sich Grundlegendes verändert. Menschen haben plötzlich Angst bekommen und diese Angst ist immer noch spürbar: im Sozialverhalten, im Konsumverhalten, in eigentlich fast jedem Aspekt unseres Alltags. Allein die Angst vor Kontakt, auch wenn sie bei vielen vielleicht nur noch unterbewusst mitschwingt – allein diese Angst hat tiefgreifende Auswirkungen auf alle Branchen, die Menschen miteinander in Kontakt bringen. Und da sind wir im Veranstaltungsgeschäft selbstverständlich ganz vorne mit dabei. Die grundsätzliche Lockerheit, sich wieder unbeschwert mit anderen zu treffen, muss erst wieder wachsen. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist eine Art „Entwöhnungseffekt“. Wenn man etwas über Jahre nicht hatte, nicht gesehen hat, nicht erleben konnte, hat man sich daran gewöhnt, dass es nicht mehr da ist. Kurzfristig hatte das anders ausgesehen: nach den ersten Monaten Pandemie waren die Menschen regelrecht heiß darauf, wieder rauszukommen. Wir alle haben überkompensiert. Nach den langen zweieinhalb Jahren jedoch haben sich viele einfach an die veränderten Umstände gewöhnt, sich Alternativen gesucht, zum Teil ihr komplettes Freizeitverhalten geändert. Das hat für einen Sportclub wie uns natürlich massive Auswirkungen. Wir leben davon, dass sich die Menschen 20 bis 30-mal im Jahr in der ratiopharm arena zum Heimspiel treffen, permanent emotionale Berührungspunkte mit dem Team und anderen Fans erleben und dieses Erlebnis auch medial in ihren Alltag verlängern. Zweieinhalb Jahre kein Abklatschen mit den Spielern, keine Begegnung, keine Autogrammstunde, kein Siegerbierchen mit Freunden … das alles muss man erst wieder lernen. Für uns ist es fast schon wie ein Neuanfang.
 
Bei vielen Spitzensportarten ist ein Rückgang der Abos zu beobachten – ist dieser Trend auch bei Ihnen bemerkbar, wenn ja, worauf könnte man das zurückführen?

Glücklicherweise kann ich diesbezüglich sagen: das Uuulmer Publikum ist einfach grandios. Trotz Pandemie, trotz des „Nicht-Erlebnisses“, trotz der fehlenden Nähe, erleben wir eine hohe Treue unserer Abonnenten. Natürlich haben wir die entsprechenden Beträge, für die nicht zugänglichen Spiele zurückerstattet. Dennoch ist das hohe Maß der uns entgegengebrachten Treue alles andere als selbstverständlich. Bitte verstehen Sie mich nicht miss, natürlich gab und gibt es Stornierungen. Allerdings in erster Linie im Stehplatzbereich, was übrigens einen ohnehin schon vorhandenen Trend abbildet: weg vom Stehplatz, übrigens auch über alle Sportarten hinweg. Die Pandemie hat diesen Trend eventuell zusätzlich beschleunigt, dadurch dass es im Stehplatzbereich eben deutlich enger zugeht. Hier haben wir massiv Abonnenten verloren. Im Sitzplatzbereich erleben wir die fast schon normale Fluktuation der vergangenen Jahre, gewinnen allerdings im Unterschied zur Zeit vor der Pandemie fast nichts hinzu. Es ist normal, dass Menschen ihre Interessen verändern, wegziehen oder aus unserer Zielgruppe herausaltern, gerade auch weil wir sehr treue Fans haben. In so einer Zeit wie den letzten zweieinhalb Jahren gewinnst Du da aber einfach keinen neuen hinzu. Jetzt gerade fängt es wieder damit an, dass wir neue Abonnenten gewinnen können, allerdings nicht im selben Maß, in dem wir sie verloren haben. Hierdurch hast Du automatisch einen Rückgang im Bestand – dazu den beschriebenen Stehplatz-Effekt – das tut natürlich weh. Denn das ist deine Grundauslastung, auf die Du nach der Pandemie wieder aufbauen musst. Noch viel schwerer ist es, den klassischen Tagesticketkäufer wieder zu erreichen. Hier stellt sich uns die weitaus größere Herausforderung.
 
Wie möchten Sie oder wie haben Sie diesem Trend bereits entgegengewirkt?

Wir müssen das tun, was wir die letzten 21 Jahre auch getan haben. Es ist doch bei weitem nicht so, dass wir keine Zeiten nicht ausverkaufter Hallen erlebt hätten oder uns nicht mehr daran erinnern könnten. Als Thomas Stoll und ich den Club gegründet haben, saßen wir noch recht verloren, zusammen mit wenigen hundert Zuschauern, auf den Holzbänken der Kuhberghalle. Daraus haben wir dann alles aufgebaut. Ganz so schlimm wie zu Beginn ist es glücklicherweise nicht. Ganz so weit weg von unserer gewohnten Auslastung sind wir dann doch nicht. Allerdings ist es eine große Herausforderung, die Menschen wieder weg vom bequemen Sofa zu bewegen, sie wieder für unseren aufregenden Sport, unser hochemotionales Event zu interessieren und sie zu uns in die ratiopharm arena zu holen. Ich glaube daran, dass es – so schnell wie es wegging – auch wieder zurückkommen kann. Nicht morgen, aber perspektivisch in Wochen und Monaten gedacht. Und zwar nicht nur bei uns oder im Sport allgemein, sondern überall dort, wo es Spaß macht, gemeinsam etwas zu erleben, einzigartige Augenblicke zu feiern, unvergessliche Erinnerungen mitzunehmen. Im Grunde freuen sich die Menschen doch darauf, wieder in Kontakt zu kommen. Dazu braucht es allerdings wieder etwas Stabilität in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die Angst muss kleiner, bestenfalls wieder vergessen werden. Um die Frage abschließend noch etwas konkreter zu beantworten: wir machen das, was man im Ticketverkauf so tut. Auch wir gehen wieder raus, versuchen neue Fans zu gewinnen, Menschen für das Erlebnis ratiopharm ulm-Heimspiel zu interessieren. Vor allem aber geht es darum ein gutes Produkt zu liefern, ein Event das großen Spaß macht. Am Ende spricht sich das dann ohnehin herum.