#Schnupfen
Krankschreibung per WhatsApp
Sie quälen sich mit Ihren letzten Kräften aus dem Bett. Ihr Kopf dröhnt, Ihre Nase ist dicht. Die Glieder brennen. Sie schaffen das, denken Sie. Sie schleppen sich ins Bad, zucken bei Ihrem Spiegelbild zusammen. Muss gehen, denken Sie. Nicht zur Arbeit, aber zum Arzt. Ihre Nackenhaare stellen sich bei dem Gedanken an das Wartezimmer auf. An den Weg zum Auto. Sie schlurfen zurück ins Bett. Wählen die Nummer des Arztes. Geht keiner ran. Sie versuchen den halben Vormittag einen Termin zu bekommen. Sie verzehren sich nach ein paar Minütchen Schlaf. Im Wartezimmer angekommen warten Sie mit Leidensgenossen über eine Stunde. Der Gedanke an eine Tasse Tee und eine Bettdecke lässt Sie halluzinieren. Ihr Name wird von einem rosa Flamingo aufgerufen. Im Arztzimmer befinden Sie sich eine Minute. Sie wünschen dem rosa Flamingo einen schönen Tag und machen sich auf den Weg ins Bett.
Wer steckt dahinter?
So oder so ähnlich müssten die Gedanken zu dieser Idee ausgesehen haben. Seit Ende 2018 bietet das Hamburger Start-up von Can Ansay (42) Krankschreibungen via WhatsApp an. Der Dienstleister AU-schein.de verspricht eine schnelle Online-Krankschreibung für ein bis drei Tage, die gegen eine Gebühr von 9 Euro per WhatsApp und zusätzlich per Post (+ 5 Euro) verschickt wird. Das „Angebot“ beschränkt sich nur auf die Diagnose von Erkältungen und Regelschmerzen. Sie seien ungefährlich, gut erforscht und besonders gut per Anamnese zu diagnostizieren, so heißt es auf der Internetseite. Mehr als zwei Krankschreibungen pro Kalenderjahr sind allerdings nicht drin. Auch rückwirkende Krankschreibungen oder Folgebescheinigungen werden ausgeschlossen. Der Online-Service sorgt seit seiner Entstehung für Furore - denn damit soll der Besuch beim Hausarzt hinfällig werden. Und damit auch unser eingangs erwähntes Szenario.So funktioniert die Krankschreibung
Auf Au-schein.de können Sie entweder „Erkältung“ oder „Regelschmerzen“ auswählen. Danach folgt ein kurzer Online-Fragebogen, auf dem Sie spannende Symptome, u.a. von Riechstörungen bis hin zu Husten mit oder ohne Schleim anklicken können. Die Herausforderung dabei: Nicht jede Symptom-Kombination führt zum Ziel. Auch Fragen über Ihren Gesundheitszustand und chronische Erkrankungen werden abgedeckt. Und Sie können sogar selbst entscheiden, ob Sie ein, zwei oder drei Tage krankgeschrieben sein möchten. Diese Angaben sollen dann von einem Arzt geprüft werden. Reichen die Symptome aus, stellt dieser eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) aus, die innerhalb weniger Stunden oder bis zum nächsten Arbeitstag auf Ihrem Handy landet.Rechtliche Lage
Bis Mai 2018 galt das "ausschließliche Fernbehandlungsverbot" in allen Bundesländern, dann wurde die Regelung auf dem Deutschen Ärztetag gelockert. In Schleswig-Holstein dürfen Ärzte nun auch Patienten behandeln, ohne sie jemals gesehen zu haben. Auch in Hamburg soll das Fernbehandlungsverbot fallen.Tatsächlich besitzt die AU per WhatsApp bundesweite Gültigkeit, der Arbeitgeber muss sie folglich anerkennen. Zu vermuten ist, dass sich jedoch manch Vorgesetzter an dieser Art der Krankschreibung stören könnte. Diese Theorie stellt der Dienstleister höchst persönlich auf. Sollten Probleme mit dem Arbeitgeber oder der Krankenkasse auftreten, kann sich der Patient für eine kostenlose, rechtliche Beratung direkt an den Dienstleister wenden.
Meinung der Ärztekammer
Hamburgs Ärztekammer-Präsident Pedram Emami appelliert dagegen an die Sorgfaltspflicht, die für alle Ärzte gilt. Auch hinter einer zunächst harmlos wirkenden Erkältung könne sich eine viel gravierendere Erkrankung verbergen, so Emami. Krankschreibungen dürften nicht am Fließband ausgestellt werden, sondern nur nach bestem Wissen und Gewissen.Carsten Leffmann, Geschäftsführer der Ärztekammer Schleswig-Holstein, kennt das Hamburger Krankschreibungsportal. Fakt ist, dass durch das noch gültige Fernbehandlungsverbot Hamburger Ärzte keine Online-Krankschreibung durchführen dürfen.
Vorteile/Nachteile
Für kranke Arbeitnehmer ist diese Art der Krankschreibung ideal, um Ihnen bei einer schweren Erkältung den Weg zum Arzt zu ersparen. Auch würde diese Art der Selbstdiagnose die überlasteten Wartezimmer und Ärzte entlasten und Platz machen für ernstere Anliegen.Aber: Nachdem die körperliche Untersuchung beim Hausarzt entfällt, befürchten viele Arbeitgeber einen Freifahrtschein für Blaumacher. Das Start-up vertraut hier auf die Selbstdiagnose der Kunden – und darauf, dass sie den Fragebogen ehrlich ausfüllen. Zu beachten ist auch, dass bei AU-Schein nicht nach der Tätigkeit beurteilt, sondern pauschal davon ausgegangen wird, dass Arbeitnehmer bei Erkältung arbeitsunfähig sind.
Bis Jahresende plant Ansay, sein Angebot auszuweiten. Es gebe noch weitere Volkskrankheiten, die einfach zu diagnostizieren und ungefährlich seien. Welche das sind, bleibt uns noch verborgen. Gute Besserung. |Text: Stefanie Steinbach