Der Vorsitzende der IHK-Regionalversammlung Kempten-Oberallgäu Markus Brehm im Interview
«Klartext»
Markus Brehm war 27 Jahre lang Geschäftsführer des Allgäuer Zeitungsverlages. In dieser Zeit hat Markus Brehm den Zeitungsverlag zu einer diversifizierten, modernen und erfogreichen Mediengruppe ausgebaut. Im Jahr 2004 wurde er zum Vorsitzenden der IHK-Regionalversammlung Kempten-Oberallgäu gewählt. TRENDYone sprach mit Markus Brehm über die Zukunft der Allgäuer Wirtschaft.
Die beschleunigte Energiewende wird auch das Allgäu betreffen. Dazu ist der Netzausbau von Deutschlands Norden bis nach Süddeutschland nötig.
Bayerisch-Schwaben ist nach Abschaltung des KKW Gundremmingen vom Stromexporteur zum Stromimporteur geworden, das macht die Situation, auch für die Wirtschaft, nicht einfacher. Zum Thema Militär: Das Allgäu hat keine Rüstungsindustrie vor Ort, aber eine starke Industrie. Indirekt könnten auch Produktionsbetriebe aus der Region profitieren, wenn die Bundeswehr mehr Geld ausgibt. Bislang ist aber noch nicht ersichtlich, wofür die Finanzmittel ausgegeben werden.
TRENDYone: Die IHK-Konjunkturumfrage vom Herbst 2022 zeigte deutlich auf, dass sich auch im Allgäu bei Produktion, Handel und Dienstleistungen die Stimmung eintrübt. Welche Gründe geben hierfür Unternehmen und Betriebe konkret an, obwohl 84 % der Befragten der Studie die aktuelle Lage noch als befriedigend bewerten?
Diese Multiple Krise (Inflation, Lieferketten, Ukraine-Krieg, Covid…) sorgt für Unsicherheit, und Unsicherheit führt zu trüben Aussichten. Als größte Risikofaktoren werden die Energiepreise, der Arbeits- und Fachkräftemangel sowie die Inlandsnachfrage gesehen. Die Produktion leidet unter weniger Aufträgen, der Handel leidet unter zurückhaltendem Konsum und die Dienstleister sind meist von Produktion und Handel abhängig.
TRENDYone: Stichwort Energiekrise. Welche Forderungen stellen Sie angesichts massiv steigender Energiepreise als IHK-Regionalvorsitzender an die Politik in Land und Bund?
Die Strom- und Gaspreisbremse muss kurzfristiger greifen. Langfristig muss die Energieproduktion gesteigert werden (weniger abschalten, mehr anschalten) und bezahlbar bleiben. Generell sind die Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich zu beschleunigen. Dazu müssen wir die überbordende Bürokratie abbauen, um bei großen Infrastrukturprojekten (z.B. den HGÜ-Leitungen) und der Energiewende insgesamt, schneller zu werden.
TRENDYone: Wie könnte ein zukünftiger Energiemix für das Allgäu aussehen? Sollen die erneuerbaren Energien weiterhin ausgebaut werden? Lohnt es sich in der Region über grünen Wasserstoff und E-Fuels nachzudenken? Müsste man den Allgäuern mehr Toleranz gegenüber der Windkraft und Pumpspeicherkraftwerken abverlangen?
Erneuerbare müssen dringend und schnell ausgebaut werden. Beim Energiemix gibt es nicht die eine Technologie, sondern alle erneuerbaren Potenziale müssen ausgeschöpft werden. Das Allgäu ist sicherlich ein guter Standort für Sonnenenergie und auch die Reliefenergie in Form von Pumpspeicher- oder Wasserkraft sollte stärker genutzt werden. Mit dem Wasserstoffprojekt „Hy Allgäu“ und dem IHK-Netzwerk Wasserstoff treiben wir die Entwicklung voran. Das ist allerdings ein mittelfristiges Unterfangen und macht nur Sinn mit entsprechend grüner Technologie.
TRENDYone: Im Allgäu gibt es drei kreisfreie Städte. Wie glauben Sie, können deren Innenstädte in Zeiten von Online-Handel und Kaufzurückhaltung attraktiv für Besucher bleiben?
Stationäres Einkaufen in allen Städten des Allgäus muss wieder mehr zu einem Teil der Freizeitgestaltung werden. Es geht nicht mehr nur darum, Waren anzubieten, sondern Einkaufen muss ein Erlebnis sein. Die Händler müssen immer wieder etwas Spannendes bieten und durch hohe Aufenthaltsqualität Lust auf einen Stadtbummel machen. Hierzu gehören auch Events wie Thementage, Einkaufsnächte, Märkte, Straßenmusik und andere Anlässe, um in die Innenstadt zu kommen. Viele Städte unterstützen dieses Innenstadtmarketing aktiv durch ihre Beteiligung an vielfältigen Aktionen.
TRENDYone: In weiten Teilen des Allgäus ist eine Elektrifizierung der Bahn für die nächsten Jahre nicht zu erwarten. Welche Mobilitätsformen werden dominieren? Welche Rolle spielt dabei auch der vierspurige Ausbau der B12?
Kurzfristig wird es weder bei der Bahn noch bei der B12 durchschlagende Erfolge geben. Das liegt auch an den langwierigen Planungsvorgaben und Einsprüchen. Umso wichtiger ist es, bei diesen Themen dranzubleiben. Die Elektrifizierung München-Lindau war nur ein Einstieg in weitere Projekte im Allgäu. Denn auch die neue Technologie Wasserstoff- oder Akku-Hybrid-Züge wird nicht kurzfristig flächendeckend umsetzbar und wirtschaftlich sein. Aus Sicht der Wirtschaft kann ein Ausbau der B12 nicht zur Disposition stehen. Es geht um die bessere Anbindung der Region, um die Verkehrssicherheit und die Transportwege unserer Produktionsbetriebe und Logistikunternehmen mit ihren vielen Arbeitsplätzen. Der Bedarf an einem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur im Allgäu ist seit Jahren offensichtlich und wird sich leider nicht so einfach auflösen.
TRENDYone: Vor Corona klagte die Tourismusbranche im Allgäu über Overtourism. Was sollte/könnte u.a. in den Kommunen getan werden, um den MIV gegenüber dem ÖPNV signifikant zu reduzieren?
Es gibt viele Ansätze, damit Besucherströme übers Allgäu besser verteilt werden. Als einzelne Kommune sind die Möglichkeiten begrenzt. Hier hilft nur die Kooperation vieler Akteure im Allgäu – von den Kommunen über touristische Anbieter bis zur Bahn. Deshalb arbeitet unter anderem die Allgäu GmbH gerade an einem breit angelegten Mobilitätskonzept mit vielen Beteiligten, das die Region einen großen Schritt voranbringen kann.
TRENDYone: Viele Betriebe aus Handel, Gastronomie und dem Tourismus beklagen einen Fachkräftemangel. Wie sollte aus Sicht der IHK dieser Herausforderung begegnet werden?
Der Schlüssel ist aus unserer Sicht vor allem die Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung:
• Mehr Berufsorientierung anbieten, stärker auch in Gymnasien
• Schulsystem mit Unterstützungsmaßnahmen so ausstatten, dass weniger junge Menschen ohne Abschluss die Schule verlassen
• Ausstattung der Berufsschulen verbessern
• Auch die Zuwanderung in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt müssen wir offensiv angehen.
TRENDYone: Die Bundesregierung hat das Fachkräfteeinwanderungsgesetz weiterentwickelt, so dass der Zuzug aus Drittländern außerhalb der EU erleichtert wird. Ist es aus Ihrer Sicht für Fachkräfte aus Drittstaaten attraktiv, einfach und lohnend genug nach Deutschland, konkret ins Allgäu, zu kommen?
Das Allgäu ist attraktiv und lebenswert, im Ausland aber nicht so bekannt wie in Deutschland und in den Nachbarregionen. Hier gibt es sicher Nachholbedarf. Die neue Fassung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes hat gute Ansätze. Dadurch wird es sicher einfacher werden, mehr Zuwanderer zu werben Grundsätzlich sollten die Hürden für die Integration in den Arbeitsmarkt möglichst niedrig sein und den Unternehmen mehr Verantwortung zugetraut werden. Auch hier lautet das Stichwort Bürokratieabbau und Beschleunigung der digitalen Verfahren! Es kann nicht sein, dass arbeitswillige Zuwanderer monatelang auf einen Termin in der deutschen Botschaft ihres Heimatlandes warten müssen, um ihre Formulare abgestempelt zu bekommen.
TRENDYone: Warum ist es aus Ihrer Sicht so wichtig dass sich Allgäuer Unternehmer:Innen bei der Regionalversammlung der IHK Kempten Oberallgäu engagieren?
Wir erleben aktuell im Ehrenamt der IHK einen Generationswechsel, auch bedingt durch die Vielzahl der Unternehmensnachfolgen in den vergangenen Jahren.
An dieser Stelle kann ich nur an die jungen Unternehmerinnen und Unternehmer in der Region appellieren: Die IHK Schwaben bietet ihnen eine ideale Plattform, um ihrer Meinung Gehör zu verschaffen, um Positionen und Ideen in den politischen Prozess einzuspeisen und Impulse für die Zukunft zu setzen. Die Allgäuer Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen und braucht ihre Unterstützung.
Kandidieren Sie für das regionale Ehrenamt und nutzen Sie die vielfältigen Möglichkeiten, die eine IHK bietet!
Das interview führte Joerg Spielberg.